Der Schritt nach Fernost... Eindrücke aus dem Land der aufgehenden Sonne

Erschienen in Englisch im European Heart Journal

Sie fragen sich sicher, wie ich zu einem Postdoktoranden-Stipendium in Japan gekommen bin?

Grundsätzlich ist es natürlich erstrebenswert seine Ausbildung zum Facharzt mit einem Auslandaufenthalt zu ergänzen und aus einem anderen Kulturkreis Fachwissen und Inspiration mitzubringen. Aber warum gerade Japan? Meine Motivation war einerseits ganz klar die Faszination für die japanische Sprache verbunden mit den Riten der fernöstlichen Kultur. Letztere lernte ich im Vorfeld bei einem früheren Besuch des Landes ein wenig kennen und schätzen. Andererseits bietet Japan eine Fülle von exzellenten medizinischen Ausbildungszentren, betreibt Forschung auf international höchstem Niveau und besitzt auch eine äusserst fortschrittliche Medizinaltechnik-Industrie. Also Gründe genug sich um ein Stipendium zu bewerben.

So startete ich Anfang 2010 meine Internet-Recherche. Doch ich kam nicht weit, ich scheiterte bereits in den Anfangsversuchen an den mangelnden Sprachkenntnissen. Denn alle wirklich relevanten Informationen zu den verschiedenen Institutionen und deren Ansprechpersonen waren auf Japanisch geschrieben. Doch ich hatte Glück. Durch meinen Freundes- und Bekanntenkreis lernte ich einen Schweizer Radiologen kennen, der einige Jahre zuvor in Japan ein Postdoktoranden-Stipendium erhalten hatte. Wir teilten beide die gleiche Begeisterung für das Land und so war ich natürlich äusserst erfreut, als ich von ihm zu einer Reise nach Osaka eingeladen wurde. Dank seinem gut funktionierenden Netzwerk hatte ich die Möglichkeit an der Universitätsklinik in Osaka den leitenden interventionellen Kardiologen Prof. Shinsuke Nanto kennenzulernen. Das war insofern für mich bedeutend, da die Universitätsklinik in Osaka als eines der führenden Zentren für komplexe perkutane Koronarinterventionen gilt. Die Begeisterung war geweckt und der Grundstein für einen Japanaufenthalt gelegt.

Zuerst galt es allerdings diverse Hindernisse auszuräumen: Diplomanerkennung, Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitsbewilligung, Sprachkenntnisse etc. Doch meine gesunde Sturheit und Hartnäckigkeit führten zum Ziel. Ich erhielt eine auf ein Jahr befristete Arbeitsgenehmigung und erfuhr dadurch die "grosse Ehre" unter der Leitung von Prof. Satoru Sumitsuji arbeiten zu dürfen. Ich freute mich darauf, in die klinische und akademische Arbeit integriert zu werden und ein neues Netzwerk mit anderen Fachkollegen aufzubauen.

Patrick Siegrist im Katheterlabor
Abb. 1
Patrick Siegrist im Katheterlabor.

Ein kluger Entscheid war, vor Arbeitsantritt einen Sprachkurs zu absolvieren. Während eines dreimonatigen Intensivkurses wurde ich in die japanische Sprache eingeführt. Englisch wird natürlich in den grossen Zentren und auch an den Anlaufstellen für ausländische Studentenangelegenheiten gesprochen, aber sobald man diese Umgebung verlässt, ist Japanisch unerlässlich. So war ich zu Beginn für grundlegende Dinge wie Wohnungssuche, Eröffnen eines Bankkontos oder die Behandlung von Einwanderungsfragen auf die Hilfe von Einheimischen angewiesen.

Anfang 2012 war es dann endlich soweit. Mit grossem Enthusiasmus und viel Energie startete ich in Osaka und konnte schrittweise gute Arbeitsbeziehungen mit meinen Kollegen aufbauen. Schritt für Schritt wurde ich unter enger Begleitung meines Mentors Prof. Satoru Sumitsuji in die Behandlung sehr komplexer Koronarpathologien (inkl. CTOs) eingeführt. Die Arbeits- und die Herangehensweise unterschieden sich dabei fundamental von den Behandlungskonzepten in der Schweiz. V.a. verschiedene bildgebende Verfahren spielten dabei eine zentrale Rolle. So erhält nur zum Beispiel jeder Patient präprozedural ein CT-Scan, was die Planung, Strategie und Risikoeinschätzung der Intervention massgeblich beeinflusst. Jede Intervention wird ausserdem mit einem intravaskulären Ultraschall begleitet. Durch die Spezialisierung auf die Behandlung komplexer Koronarpathologien und CTO-Revaskularisationen hat sich die Universitätsklinik in Osaka eine ausgezeichnete Expertise erarbeitet. Die Erfolgsrate für die Revaskularisation bei chronischen Totalverschlüssen ist sowohl national wie auch im internationalen Vergleich sehr hoch.

Persönlich ergriff ich jede Gelegenheit in anderen japanischen Kliniken die jeweiligen Katheterlabors zu besuchen, Interventionen zu assistieren und mein Fachwissen zu erweitern. Ich erhielt die Gelegenheit, an Workshops teilzunehmen und internationale Kardiologie-Kongresse zu besuchen. So wurde nicht nur mein Wissen um die Behandlung von CTOs erweitert auch mein Japanisch wurde flüssig. Der Wechsel von der englischen zur japanischen Sprache war ein Teil der Integration. War der Aufenthalt ursprünglich auf ein Jahr begrenzt, wurde mir die Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung um ein weiteres Jahr verlängert. Schlussendlich wurden es insgesamt vier Jahre, bis ich 2016 wieder in die Schweiz zurückkehrte, reich bepackt mit Fachwissen, aber auch mit einer unglaublichen Portion japanischer Lebensart.

Fazit: Gute Vorbereitung und gründliche Planung sind unerlässlich. Zeigt man Willen und Beharrlichkeit die gesteckten Ziele zu erreichen, zeigt man seine Bereitschaft sich zu integrieren, wird man dafür mehr als reichlich belohnt.

Und dass man vollständig integriert ist, zeigt sich am genüsslichen Verzehr von Nudelsandwiches und daran, dass man beginnt, sich bei einem Telefonanruf vor dem Gesprächspartner zu verbeugen…